15 KILOMETER ENTLANG DER GEORGISCH-ASERBAIDSCHANISCHEN GRENZE

1998/99

Julian Heynen: Wüsten gelten den meisten nur als Zwischenräume, als Transitstrecken, die überwunden werden müssen. Wenige nur haben seit alters her in solchen extremen Lebensverhältnissen ihren Aufenthalt genommen, um in diesem „Weltschatten“ (Peter Sloterdijk) den Zwischenraum zwischen Diesseits und Jenseits zu erkunden. Du hast an so einem Ort in dieser Wüste Halt gemacht. 

Ursula Schulz-Dornburg: Ein georgischer Geologe erzählte mir von den Höhlen frühchristlicher Mönche, die schon im 7. Jahrhundert aus dem byzantinischen Reich geflohen sind. Das Ungewöhnliche war, dass sie ihre Architektur aus dem Inneren des Felsens heraus gebaut haben. Diese ganz andere Architektur hat mich interessiert, sie ist wie Blindräume, wie Körperräume. Dass die Höhlenzugänge überhaupt entdeckt wurden, liegt an den vielen Erdbeben in dieser Region und den Erschütterungen durch Sprengungen bei russischen Militärmanövern. 

JH: Du zeigst in den Bildern sehr schön die Dialektik zwischen dem Rückzug und dem Ausblick in die Welt.

USD: Die Welt scheint unendlich fern zu sein, und die steinernen Räume sind eng und klein, schwer zu fotografieren. 

JH: In der Werkgruppe selbst zeigst du ja eigentlich eher Steinund Lichtskulpturen als Architektur. Es herrscht eine eigentümliche, weiche Plastizität. 

USD: Ich konnte nur sehr früh bei diffusem Licht fotografieren. Für mich waren die Steine selbst faszinierend und die Spuren in den Steinen, wie Steine platziert worden sind, um Durchgänge zu verhindern und auch um Lebensmöglichkeiten zu erschaffen, wie Steinbetten, Steinaltäre und Tische. Für Brieftauben wurden besondere Steinarchitekturen in den Höhlen geschaffen, und sie hatten von dort aus die Möglichkeit, mit ihren geheimen Botschaften nach Konstantinopel zu fliegen. 

JH: So deutet auch hier der Horizont an, dass das Abwesende nie das ganz Abwesende ist.

 

„Die Vertikale der Zeit“, aus Gesprächen zwischen Ursula Schulz-Dornburg und Julian Heynen im Dezember 2017 und Januar 2018.