KRONSTADT

Russland, 2002

Julian Heynen: Diese Metallstrukturen, die wie zufällig in der Gegend herumzuliegen scheinen, sind sicher mindestens so surreal wie die Gebäudereste in Opytnoe Pole. Man hat so gut wie keine Vorstellung, was das sein könnte.

Ursula Schulz-Dornburg: Mir ist das genauso ergangen, als ich diese Objekte auf dem Weg nach Murmansk gesehen habe, wo ich die havarierten Atom-U-Boote aufnehmen wollte – was natürlich nicht möglich war. Die Klötze haben mich sofort fasziniert. Sie wirkten wie eine auseinandergenommene Welt, wie eine demontierte Stadt auf mich. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was das sein konnte, und habe die Objekte aus dieser Situation heraus und gerade deswegen fotografiert.

JH: Es ist ja eher ungewöhnlich, dass du etwas fotografierst, worüber du nicht wenigstens ein wenig vorher weißt. Aber was sind das nun für Objekte ?

USD: Ich möchte das eigentlich ungerne sagen, weil das eine Entzauberung wäre. Dem Betrachter der Bilder soll es genauso gehen wie mir. 

JH: Wenn ich eben ein Wort wie surreal gebraucht habe, dann vielleicht, weil mir diese riesigen Metallkörper fast wie Parodien auf uralte, bedeutende Ruinen vorkommen. Oder wie Elemente einer Theater­kulisse. Realistisch betrachtet, würde man eher an einen jüngeren Zivilisationsfriedhof denken. Oder an Dinge, die dort nur gelagert sind und irgendwann anderswo gebraucht werden, gleichsam nur schlafende Giganten.

Vom Erhaltungszustand her dürften diese Objekte nicht allzu alt sein. Auf jeden Fall ist die Zeitachse hinein in die teils sehr tiefe Vergangenheit, wie bei den meisten deiner Motive, hier viel weniger ausgeprägt. Mir kommt es eher so vor, als ob hier die Zeitrichtung umgekehrt sei, als ob es sich um Science-Fiction handelte.

 

„Die Vertikale der Zeit“, aus Gesprächen zwischen Ursula Schulz-Dornburg und Julian Heynen im Dezember 2017 und Januar 2018.