VERSCHWUNDENE LANDSCHAFTEN

Palmyra
Syrien, 2005/2010

Ursula Schulz-Dornburg: Im Laufe der Geschichte ist in dieser Gegend viel geschehen. Ich wollte eine Vorstellung davon bekommen, was eigentlich dieses Syrien und was das Osmanische Reich gewesen ist, und was die koloniale Aufteilung des Landes mit ihm gemacht hat. Außerdem hat mich Palmyra als Bindeglied beziehungsweise Kreuzungspunkt der Handelsroute von Mesopotamien nach Westen und der Weihrauchstraße aus dem Süden Arabiens nach Norden interessiert. Ich war 2005 zum ersten Mal dort und habe im Tal der Gräber Aufnahmen gemacht. Im November 2010 bin ich dann zurückgekehrt, also kurz vor Ausbruch des Syrienkrieges. 

Julian Heynen: Du hast dich auf die minimalistischen Gräber aus mehr oder weniger gleichgroßen Steinquadern konzentriert, also nicht auf die reicher ausgestatteten Gräber. 

USD: Von den größeren Bauten habe ich nur den Baal-Tempel fotografiert, eben wegen der alten Beziehung zu Babylon, zu Mesopotamien. Er ist dann 2015 vom IS zerstört worden. Der Hauptteil der Werkgruppe aber sind die mehr oder weniger vollständigen, teils in Auflösung begriffenen, kleineren Gräber. Bei der Konzentration auf Gräber hat wohl auch eine Rolle gespielt, dass sich ganz in der Nähe ein berüchtigtes Foltergefängnis des Geheimdienstes befunden hat. Ich hätte es gerne fotografiert, aber das ging natürlich nicht. In meinem Kopf müssen damals Gedanken an die Endlichkeit gekreist haben.

JH: Und was hat es mit diesen Details, diesen Resten von Bauten auf sich, die manchmal nur aus zwei oder drei Steinblöcken bestehen? 

USD: Das sind Reste von Mauern. Es war so, als ob ich mithilfe der Kamera mit Bauklötzen hantieren und kleine Ruinenstädte zusammenstellen würde. 

JH: Quasi wie Architekturmodelle von Ruinen, gleichsam intime Versionen der Vergänglichkeitsthematik. In den Bildern der minimalistischen Gräber hingegen hast du die Vergänglichkeit, die allmähliche Auflösung von der geschlossenen Struktur zum ruinösen Detail, regelrecht als Sequenz inszeniert. Insgesamt aber sind die Bilder so klar, so minimalistisch, so wörtlich, dass die visuelle Analyse recht schnell auf Grenzen stößt. 

USD: Ja, man braucht die geschichtliche Dimension und die aktuellen Geschichten, um die Motive weiter aufzuschließen. 

JH: Allein der Hinweis „Palmyra“ auf dem Museumsschildchen verändert 2018 den Blick auf die Bilder gegenüber 2010 als sie ein knappes halbes Jahr vor dem Ausbruch des Syrienkrieges aufgenommen wurden. 

USD: Wenn ich mir die Bilder jetzt wieder ansehe, bin ich selbst überrascht über Ähnlichkeiten mit einigen Aufnahmen aus Opytnoe Pole. Ich meine nicht nur einige der architektonischen Objekte, sondern auch die Erdoberflächen mit den unklaren, aber wohl menschengemachten Strukturen. 

JH: In vielen Teilen deines Werkes ist eine formale Ähnlichkeit mitunter der Auslöser, um weite Sprünge über Ort und Zeit hinweg zu machen. Völlig unvorhergesehen werden so ganz unterschiedliche Situationen dennoch in eine sinnvolle Nähe zueinander gebracht, die über das Visuelle hinausgeht und Inhalte und Tendenzen der Arbeit berührt. 

USD: Der große Vorteil, das Plus einer Ausstellung ist es ja, dass man die Werkgruppen zwar als Einheit in einem Raum präsentieren kann, durch die geschickte Anordnung aber Korrespondenzen über die Grenzen der Gruppen und Räume hinweg möglich werden. Das In-Between ist in der Ausstellung so wichtig wie das individuelle Bild, die einzelne Gruppe.

 

„Die Vertikale der Zeit“, aus Gesprächen zwischen Ursula Schulz-Dornburg und Julian Heynen im Dezember 2017 und Januar 2018.